M3 Gen- und Zelldoping

Definition

Der wesentliche Unterschied von Gendoping zu herkömmlichen Dopingsubstanzen oder -methoden besteht darin, dass dem Körper beispielsweise nicht Anabolika, Hormone oder Blut zugeführt werden, sondern genetisches Material oder Substanzen, die dazu dienen, die Regulation der Genexpression zu verändern.

Dieses genetische Material besitzt die Fähigkeit, den Muskelaufbau, den Fettabbau oder die Produktion entsprechender Hormone im Körper direkt zu beeinflussen. Somit könnte Gendoping in Zukunft herkömmliche Dopingmethoden ergänzen oder sogar überflüssig machen, weil damit der Körper zu seiner eigenen Dopingfabrik wird. Genau darin liegt auch die unermessliche Gefahr von Gendoping, da auf diese Weise einmal in Gang gesetzte Prozesse nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Die Bedeutung von Genen im Sport

Jeder Mensch trägt Gene in sich, die ihn für die eine oder andere Tätigkeit geeignet machen. So sind z. B. im Sport die einen schon ab Kindesalter schneller als die anderen, wieder andere sind stattdessen kräftiger, grösser oder koordinativ geschickter. Dabei spielen die Gene eine ganz zentrale Rolle. Mitentscheidend, wie der Genotyp schliesslich ausgeformt wird (Charakter, Vorlieben, körperliche Ausprägungen etc.), ist der Einfluss der Umwelt.

Die Gene bilden die Grundlage für sportliches Potenzial

Dass sportliches Potenzial von der genetischen Grundlage abhängt, lässt sich leicht an einigen Beispielen erkennen:

  • Die schnellsten Sprinter sind dunkler Hautfarbe.
  • Die besten Marathonläufer stammen aus Ostafrika.
  • Asiatinnen haben aufgrund ihrer Statur im Kunstturnen einen Vorteil.
  • Europäer dominieren in Kraftsportarten.

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Sprinter über Muskeln verfügen, die sich besonders schnell zusammenziehen, aber auch schnell ermüden. Die Muskulatur der Dauerläufer dagegen kontrahiert langsamer, kann dafür aber viel länger arbeiten. Auch für diese Unterschiede sind die Gene verantwortlich.

Gendoping als Missbrauch der Gentherapie

Die medizinische Forschung entwickelt genetische Methoden nicht mit dem Ziel, sie zum Gendoping im Sport einzusetzen. Vielmehr sollen mittels Gentherapie Menschen mit genetisch bedingten Krankheiten geheilt werden. Viele Krankheiten haben eine genetische Ursache: Immunschwächen, Muskelschwund und Diabetes Typ 1 sind nur einige davon. Die Idee der Gentherapie besteht darin, solche Krankheiten auf dem Niveau der Genetik zu heilen, indem defekte Gene durch gesunde Genkopien ersetzt werden.

In den meisten Ländern ist Gentherapie aus ethischen Gründen nur an Körperzellen erlaubt (somatische Gentherapie). An Spermien und Eizellen ist sie verboten (Keimbahntherapie), weil eine Genveränderung an diesen Zellen auf die Nachkommen vererbt würde. Noch ist die Gentherapie keine medizinische Standardmethode.

Gendoping durch Übertragung von Genen

Gendoping ist auf verschiedene Arten möglich. Die aktuelle Dopingliste fasst folgende verbotenen Methoden, mit dem Potential zur Steigerung der sportlichen Leistung, zusammen:

  1. Die Verwendung von Nukleinsäuren oder Analoga der Nukleinsäuren, welche Genomsequenzen verändern können und/oder die Genexpression durch einen beliebigen Mechanismus verändern können. Diese schliessen ein, sind aber nicht beschränkt auf Technologien zur/m Gen-Editierung, Gen-Inaktivierung, Gen-Transfer.
  2. Die Verwendung von normalen oder genetisch veränderten Zellen.

Gendoping durch Übertragung von Genen

Gene lassen sich nicht einfach in eine Spritze füllen wie Anabolika oder Epo. Um fremde Gene auf einen Menschen zu übertragen, braucht es eine Art Fähre. Dazu dienen genmanipulierte Viren. Diese werden dem Athleten entweder direkt in die Blutbahn injiziert oder man entnimmt dem Athleten Zellen (z. B. Knochenmarkzellen, welche das Blutbildungssystem enthalten), bringt diese Zellen ausserhalb des Körpers mit den Viren in Kontakt und führt sie danach in den Körper des Athleten zurück.

Viren transportieren Sport-Gene

Viren sind keine Lebewesen: Sie bestehen lediglich aus einer Hülle und der darin eingeschlossenen Erbsubstanz. Sie können sich nicht selbst fortpflanzen, aber sie sind raffiniert: Mittels spezieller Ortungssysteme finden sie ihr Ziel im infizierten Organismus, z. B. Blutzellen oder Muskelzellen. Dort schleusen sie ihre eigene Erbsubstanz ins Innere der Opferzelle. Dann programmiert die virale Erbsubstanz die Opferzelle um. Fortan führt diese die Befehle des Virus aus. Wenn nun genetisch veränderte Viren anstelle ihrer krankmachenden Gene ein Sport-Gen mitführen, machen sie ihr Opfer nicht krank, sondern stark, ausdauernd oder schnell.

Doping durch Beeinflussung der körpereigenen Gene

Die Genexpression lässt sich auch von aussen beeinflussen. Das heisst, körpereigene Gene können ein- oder ausgeschaltet, oder deren Wirkung kann verstärkt oder gehemmt werden. Das lässt sich auf zwei Arten bewerkstelligen:

  • mittels kleiner genetischer Bausteine;
  • mittels «medikamentöser Beeinflussung» bzw. durch Gen-editierende Wirkstoffe.

Diesen beiden Methoden ist gemein, dass dabei – im Gegensatz zur Methode der Übertragung von Genen – keine fremden Gene ins Erbgut eingebaut werden.

Risiken des Gendopings

Die Risiken des Gendopings sind vielfältig!

Herstellungsrisiko: Sollte eine der Gentherapie-Methoden, die sich gegenwärtig noch in Entwicklung befinden, bereits illegal zum Dopen verwendet werden, gehen von dem genetischen Material, das in einem "Hintertreppenlabor" hergestellt wird, enorme Risiken aus.

Die Gen-Fähre: Für die Gentherapie werden Viren als Gen-Fähren eingesetzt. Diese Viren werden zuvor zwar so verändert, dass sie nicht mehr infektiös sind. Trotzdem bergen auch inaktivierte Viren immer noch ein kleines Restrisiko als Krankheitserreger.

Das Umfeld: Weil bei der illegalen Produktion von Mitteln zur Genübertragung staatliche Auflagen und Kontrolle fehlen, könnten unvollständig inaktivierte Viren, verschmutzte Präparate oder infizierte Instrumente verwendet werden. Zudem ist zu befürchten, dass die medizinische Betreuung während der Behandlung ungenügend ist oder sogar nicht-bewilligte, gefährliche Versuche an Menschen durchgeführt werden.

Transferrisiko: Selbst korrekt inaktivierte Viren bleiben für den Organismus des Patienten Fremdkörper, die vom Immunsystem bekämpft werden. Die normalerweise dadurch hervorgerufenen Symptome gleichen jenen einer Grippe. Schwerer wiegt es, wenn das Immunsystem die Proteine abwehrt, welche durch die injizierten Gene produziert werden. Dies führt zu allergischen Reaktionen bis hin zum tödlichen allergischen Schock.

Genetisches Risiko: Wenn einem Patienten ein therapeutisches Gen verabreicht wird, lässt sich nicht genau steuern, an welcher Stelle es sich in sein Erbgut einfügt. Je nach dem kann dies gravierende Folgen haben. Denn benachbarte Genabschnitte können gemeinsam mit dem neuen Gen eine unerwünschte oder unbekannte Reaktion bewirken. Noch sind nicht alle dieser möglichen Wechselwirkungen bei Gentherapien bekannt, geschweige denn untersucht.

Mögliche Nebenwirkungen des Gendopings

Veränderungen des Erbguts durch Gendoping können nach heutigem Wissensstand nicht vollständig rückgängig gemacht werden. Während beim klassischen Doping viele der Nebenwirkungen nach dem Absetzen des Dopingmittels wieder abklingen, ist die Wirkung von Gendoping und seinen Nebenwirkungen nachhaltig und langfristig.

Über die befürchteten Nebenwirkungen von Gendoping lässt sich heute noch keine gesicherte Aussage machen – man kann sich lediglich Szenarien wie das Folgende vorstellen: Ein Wachstumsfaktor wie z.B. IGF-1 lässt zwar Muskelzellen wachsen, könnte aber auch Tumorzellen zum Wachstum anregen. So würde aus einer einzelnen entarteten Zelle, die unter normalen Umständen von den körpereigenen Kontrollmechanismen eliminiert würde, rasch ein Tumor werden oder eine Krebserkrankung wie z.B. Leukämie.

Nachweis des Gendopings

Der Nachweis von Gendoping ist besonders schwierig, da sich das Produkt des eingeschleusten Gens sich nicht vom körpereigenen unterscheidet. Am einfachsten wäre es, das eingeschleuste Gen in einer Gewebeprobe direkt nachzuweisen. Dabei würde dem Athleten ein Stückchen Muskel entnommen und auf das Vorhandensein fremder DNA getestet. Die Entnahme von Gewebeproben ist jedoch für den Sportler ein gravierender Eingriff und gemäss Welt-Anti-Doping-Code nicht vorgesehen. Deshalb scheidet die Gewebeprobe als Standardmethode aus, um Gendoping nachzuweisen.